Störungen der Nahrungsaufnahme bei neurologischen Erkrankungen

Die normale Nahrungsaufnahme


Der Mensch ißt und trinkt nicht nur, um zu überleben, sondern auch zu seinem Vergnügen. Wenn Menschen zusammenkommen, um sich zu unterhalten, ist dies auch oft mit Essen und Trinken verbunden. Eine Reihe von Regeln wollen beachtet sein, damit man innerhalb seines sozialen und kulturellen Umfeldes akzeptiert wird. Auch wenn sich Sitten und Bräuche voneinander unterscheiden, gelten doch zumindest in den meisten Kulturen der westlichen Welt für Essen und Trinken allgemein verbindliche Verhaltensregeln: Wir sitzen aufrecht am Tisch, Kopf und Körper befinden sich in einer optimalen Stellung zur Nahrung. Die Menschen in den meisten westlichen Ländern sitzen zum Essen auf Stühlen mit senkrechter Rückenlehne. Kaubewegungen (Lippen-, Kiefer-, Zungenbewegungen) fallen in dieser Position leichter. Der Kehlkopf kann sich beim Schlucken ungehindert nach oben und unten bewegen.
 

Die gestörte Nahrungsaufnahme bei neurologischen Erkrankungen 


Der Schluckakt wird bei Erwachsenen mit der Schließbewegung des Kiefers und der Lippen eingeleitet. Schon kleine Anomalien wie eine Asymmetrie durch gestörte Muskelspannungen bei einer Gesichtslähmung können Essen und Trinken beeinträchtigen und schwere soziale Auswirkungen haben. Die Beeinträchtigungen der Patienten mit neurologischen Erkrankungen sind jedoch meist noch komplexer.

 

Die Patienten zeigen Veränderungen von

 

  • Körperhaltung und Gang
  • zusammengebrochene verbale Kommunikation: Wortfindungsstörungen, Sprechstörungen, Stimmstörungen
  • zusammengebrochene nonverbale Kommunikation: Mimik und Gestik sind gestört
  • Gestörte Körper- und Raumwahrnehmung
  • Verminderte oder gesteigerte Sensibilität
  • Gestörte Handlungsabläufe
  • Vorhandensein von pathologischen Reflexen

All diese Symptome stören die normale Nahrungsaufnahme.

 

Für die Behandlung von Patienten mit Beeinträchtigtungen der Nahrungsaufnahme ist es von großer Bedeutung, daß alle Mitarbeiter im Pflegeteam und Rehabilitationsteam den Zusammenhang zwischen den Symptomen verstehen und ihre physischen und psychischen Folgen erkennen können.

Dies bedeutet nicht nur, daß man die Wirkung der verminderten oder veränderten Fähigkeiten des Patienten selbst einschätzen können muß. Der Fachmann muß auch seine eigene Reaktion einschätzen, wenn er eine abnormale, nonverbale Kommunikation oder ein anderes Verhalten interpretieren soll.

 

Der Vorgang des Essens und Trinkens bei Patienten mit Störungen der Nahrungsaufnahme wird von Ärzten meist nur im Zusammenhang mit rein ernährungsphysiologischen Fragen erwähnt. Ist das, was der Patient an Nahrung zu sich nimmt, ausreichend in Bezug auf:

 

  • Kohlenhydrate
  • Eiweiß
  • Fett
  • Mineralstoffe, Vitamine, Ballaststoffe

Die Funktion des Mundes als Sinnes- und Kommunikationsorgan wird hierbei nicht berücksichtigt. Die Behandlung von Patienten mit Störungen der Nahrungsaufnahme erfordert eine ausführliche Befunderhebung, eine enge Zusammenarbeit mit allen am Rehabilitationsprozeß beteiligten Mitarbeitern:

 

  • Speziell geschulte Pflegekräfte, Therapeuten und Ärzte
  • Eine gute Beobachtungsgabe von Pflegekräften und Therapeuten sowie die Fähigkeit, mit den Reaktionen des Patienten umgehen zu können 
  • Eine gute Zusammenarbeit mit der Diätküche 
  • Eine Offenheit aller am Rehabilitationsprozeß Beteiligten für die weitreichenden und sich gegenseitig bedingenden Auswirkungen einer zentralen Schädigung  

Die Therapie, die auf dem Bobath-Prinzip basiert, verlangt von Therapeuten und Pflegekräften, daß sie sowohl ihre Hände als auch ihren Kopf benutzen. Sie beinhaltet die Einbeziehung der Angehörigen und das „Handling“ der Patienten. Ein Training von Funktionen, die eine Übertragungsmöglichkeit in das tägliche Leben ermöglichen, nicht nur das Beobachten und Besprechen.

 

Bei der Arbeit mit neurologischen Patienten müssen folgende Dinge unbedingt unterlassen werden

 

  • Essen und Trinken verabreichen ohne orientierende Untersuchung der oralen Bewegungen, der Bewegungen der Rachenhöhle und des Speichelschluckens
  • Essen verabreichen mit geblockter Trachealkanüle
  • Erwarten, daß ein Absauggerät die Nahrung entfernen kann
  • Sich auf Aussagen der Patienten über ihre Symptome verlassen
  • Suggestive Fragen stellen
  • Das Essen im Bett zulassen, wenn es auch am Tisch möglich ist
  • Geräte oder Techniken benutzen, ohne sie vorher ausprobiert zu haben
  • Sich darauf verlassen, daß der sofortige Schluckreflex einsetzt
  • Vergessen, Mund und Zähne oder die Prothese nach dem Essen zu säubern